Stillstand im Mieterhöhungsverfahren: Die Auslegung des Vorbehalts und des Berliner Mietendeckels
Die im Gerichtsverfahren in Berlin (Az.: 64 S 95/20) vorgestellte Rechtssache beschäftigt sich mit zwei hauptsächlichen Fragestellungen im Mietrecht. Zunächst wird diskutiert, ob die Zahlung einer erhöhten Miete unter Vorbehalt als stillschweigende Zustimmung zu dieser Erhöhung interpretiert werden kann. Darüber hinaus geht es um die Anwendung und Auslegung des Berliner Mietendeckels (MietenWoG Bln) und dessen potenziellen rückwirkenden Einfluss auf bereits eingeforderte Mieterhöhungen.
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Übersicht
Der Vorbehalt als Ausdruck des Nicht-Einverständnisses
Gemäß dem Urteil des Landgerichts Berlin lässt sich aus der fortlaufenden Bezahlung einer erhöhten Miete unter Vorbehalt keine konkludente Zustimmung zur Mieterhöhung ableiten. Trotz wiederholter Zahlungen unter Vorbehalt wird dieses Verhalten nicht als Einverständnis interpretiert. Im Mittelpunkt steht der erklärte Vorbehalt des Mieters, der durch seine wiederholten Vorbehaltszahlungen die Zustimmung zur Mieterhöhung ausdrücklich verneint hat. Die Meinung des Gerichts basiert auf Präzedenzfällen des Bundesgerichtshofs (BGH), wonach für die Bewertung der konkludenten Zustimmung die Perspektive eines objektiven Empfängers maßgeblich ist.
Der Berliner Mietendeckel im Fokus
Darüber hinaus befasst sich das Urteil mit der Anwendung des Berliner Mietendeckels. Die Anklagepartei hat form- und fristgerecht einen Antrag auf Mieterhöhung gestellt, noch bevor der Mietendeckel und dessen Eckpunkte bekannt wurden. Das Gericht hebt hervor, dass der Berliner Landesgesetzgeber mit der Einführung des Mietendeckels keine echte Rückwirkung beabsichtigte. Der Fokus des Mietendeckels liegt auf Mieterhöhungsverlangen, die nach Inkrafttreten des Gesetzes gestellt wurden, nicht auf bereits bestehenden Eigentumspositionen. Daher argumentiert das Gericht, dass die Anwendung des Mietendeckels auf den vorliegenden Fall die Klägerin ungerechtfertigterweise ihrer rechtlich erworbenen Position berauben würde.
Die Auswirkungen auf Mieter und Vermieter
Die Entscheidung des Landgerichts Berlin hat erhebliche Auswirkungen auf zukünftige Fälle von Mieterhöhungen und Mieterhöhungsverlangen. Sie stellt klar, dass die wiederholte Zahlung einer erhöhten Miete unter Vorbehalt nicht als Zustimmung zur Mieterhöhung ausgelegt werden kann. Des Weiteren betont sie die Bedeutung des Rechtsstaatsprinzips im Kontext des Berliner Mietendeckels und schützt somit die Rechte der Vermieter. Allerdings bleibt abzuwarten, wie sich die Gesetzeslage in Zukunft entwickeln wird, insbesondere in Bezug auf die kontroverse Diskussion um den Berliner Mietendeckel.
Das vorliegende Urteil
LG Berlin – Az.: 64 S 95/20 – Beschluss vom 25.06.2020
Die Kammer beabsichtigt, die Berufung des Beklagten gegen das am 17.03.2020 verkündete Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg – 224 C 423/19 – durch einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.
Gründe
Der Hinweis beruht auf § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Die Kammer ist davon überzeugt, dass die zulässige Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil nicht erfordern und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
1.
Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Amtsgericht darauf erkannt, dass weder eine ausdrückliche noch eine konkludente Zustimmung des Beklagten zum Mieterhöhungsverlangen vorliegt. Aus den erfolgten Zahlungen der erhöhten Miete lässt sich vorliegend aufgrund des erklärten Vorbehalts keine konkludente Zustimmung entnehmen, auch wenn die Mietzahlungen bereits zuvor über einen längeren Zeitraum unter Vorbehalt erfolgten. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist im Fall eines Mieterhöhungsverlangens maßgebend, ob ein objektiver Empfänger, der den Inhalt des Angebots des Vermieters auf Erhöhung der Miete und alle sonstigen Umstände kennt, aus dem Verhalten des Mieters den Schluss auf einen Rechtsbindungswillen und damit auf die Zustimmung zur Mieterhöhung ziehen würde (vgl. BGH, Beschluss vom 30.01.2018 – VIII ZB 74/16 – Rn. 20, NJW-RR 2018, 524 [beck]). Dies ist hier aufgrund des – in keiner Weise eingeschränkten – Vorbehalts nicht der Fall. Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vom 18. Februar 2020 außerdem ausdrücklich erklärt, dass er mit der Zahlung der erhöhten Miete unter Vorbehalt keine Zustimmung zu dem Erhöhungsverlangen erteilen wollte.
2.
Das erst am 23. Februar 2020 in Kraft getretene Gesetz über den „Mietendeckel“ (MietenWoG Bln) steht dem klägerischen Anspruch nicht entgegen. Die von der Zivilkammer 67 in ihrem Vorlagebeschluss vom 12. März 2020 vertretene Gesetzesauslegung (vgl. LG Berlin, Beschluss vom 12.03.2020 – 67 S 274/19, GE 2020, 468 ff. [juris]) misst dem MietenWoG Bln eine echte Rückwirkung bei, die vorliegend zur Folge hätte, dass der Klägerin eine bereits zur Anwartschaft erstarkte Rechtsposition entschädigungslos entzogen würde. Die Klägerin hatte formwirksam und fristgerecht den Anspruch auf Erhöhung der Miete geltend gemacht, dem sich der Beklagte nach den geltenden Gesetzen nicht mehr entziehen konnte, und zwar zu einem Zeitpunkt, der nicht nur lange vor Inkrafttreten des Gesetzes lag, sondern auch vor dem Stichtag des 18. Juni 2019, an dem Eckpunkte des Gesetzesvorhabens bekannt gemacht wurden. Eine solche echte Rückwirkung hat aber der Berliner Landesgesetzgeber, schon wegen des allein daraus fließenden zusätzlichen Risikos, dass das Gesetz einer verfassungsgerichtlichen Prüfung nicht standhalten werde, ganz sicher nicht beabsichtigt. Vielmehr hat der Landesgesetzgeber nur nach dem „Stichtag“ ausgebrachten Mieterhöhungsverlangen entgegen wirken wollen, ohne bereits erworbene Eigentumspositionen zu entziehen oder in schon zu deren Durchsetzung laufende Gerichtsverfahren einzugreifen (vgl. BGH, Urteil vom 29.04.2020 – VIII ZR 355/18 – Rn. 70 ff. m.w.N. und Rn. 75 [juris]).
Aus der vorgenannten Entscheidung des Bundesgerichtshofs folgt weiterhin, dass auch ein vor dem gesetzlich festgelegten Stichtag des 18. Juni 2019 erklärtes und zum 1. September 2019 wirksam werdendes Mieterhöhungsbegehren nicht unter den zeitlichen Anwendungsbereich des MietenWoG Bln fällt (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 75 [juris]).
3.
Die Kammer regt deshalb an, die Berufung zurückzunehmen und weist vorsorglich darauf hin, dass sich die Gerichtsgebühren für das Berufungsverfahren in diesem Falle halbieren würden (vgl. Nr. 1220, 1222 Kostenverzeichnis zum Gerichtskostengesetz).
Die Parteien erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen.