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Gerichtliche Überprüfung einer Verwertungskündigung

Das Landgericht Berlin II hat in einem aktuellen Fall entschieden, dass die Verwertungskündigung einer Vermieterin unwirksam war, da die Fortführung des Mietverhältnisses für den Vermieter keinen erheblichen Nachteil darstellt. Die Richter wiesen darauf hin, dass die Mieterrechte als Lebensmittelpunkt zu beachten sind und das Eigentum auch eine soziale Verpflichtung beinhaltet.

→ Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 67 S 289/23

✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Die Verwertungskündigung durch die Vermieterin war unwirksam, da die Fortsetzung des Mietverhältnisses für sie keinen erheblichen Nachteil darstellt.
  • Das Interesse des Mieters am Verbleib in der Wohnung überwiegt die wirtschaftlichen Interessen der Vermieterin.
  • Der Vermieter hat keine Verpflichtung zur Gewinnoptimierung, solange dem Mieter kein zumutbarer Ersatzwohnraum angeboten wird.
  • Die Kosten einer möglichen Gebäudesanierung rechtfertigen allein keinen erheblichen Nachteil für den Vermieter.
  • Die Vermieterin hat das Grundstück in Kenntnis der Vermietungssituation erworben und war über mögliche Einschränkungen informiert.
  • Die persönlichen und finanziellen Belastungen für den Mieter im Falle eines Wohnungsverlustes sind sehr hoch einzuschätzen.
  • Ein Angebot für zumutbaren Ersatzwohnraum durch die Vermieterin hätte die Interessenabwägung zugunsten einer Kündigung beeinflussen können.
  • Die Begründung in der Kündigungserklärung allein reichte für die Annahme eines erheblichen Nachteils nicht aus.

Verwertungskündigung: Gericht stellt Mieterschutz über Vermieterinteressen

Mieten und Vermieten gehören zu den komplexesten rechtlichen Themen im Alltag. Auf der einen Seite haben Vermieter das Recht, ihr Eigentum wirtschaftlich zu verwerten. Auf der anderen Seite genießen Mieter einen grundgesetzlich verbürgten Schutz ihres Wohnraums als zentralen Lebensmittelpunkt. Dieser Interessenkonflikt führt oft zu juristischen Auseinandersetzungen – etwa wenn Vermieter eine „Verwertungskündigung“ aussprechen, um das Mietobjekt anderweitig nutzen zu können.

Gerichte müssen in solchen Fällen sorgfältig abwägen, ob das Verwertungsinteresse des Vermieters die Fortsetzung des Mietvertrags tatsächlich erheblich beeinträchtigt oder ob das Bestandsinteresse des Mieters überwiegt. Dabei spielen nicht nur rein wirtschaftliche, sondern auch persönliche und soziale Faktoren eine wichtige Rolle. Ein aktuelles Gerichtsurteil zu diesem Thema zeigt, wie diese Interessenabwägung im Einzelfall erfolgen kann.

Der Fall vor dem Landgericht Berlin II im Detail

Gerichtliche Abwägung zwischen Verwertungsinteresse und Mieterschutz

Das Landgericht Berlin II hat sich in einem aktuellen Fall mit der Frage auseinandergesetzt, ob eine sogenannte Verwertungskündigung durch eine Vermieterin rechtmäßig war. Die Vermieterin hatte das Mietverhältnis mit der Absicht gekündigt, das bestehende Wohngebäude abzureißen und durch einen Neubau mit anschließendem Verkauf zu ersetzen. Der Mieter, welcher bereits seit vielen Jahren in der Wohnung lebte, weigerte sich auszuziehen und klagte gegen die Kündigung.

Der Kernpunkt der rechtlichen Auseinandersetzung lag in der Abwägung zwischen dem Verwertungsinteresse der Vermieterin und dem Bestandsinteresse des Mieters. Während Vermieter grundsätzlich das Recht haben, über ihr Eigentum frei zu verfügen und dieses wirtschaftlich zu nutzen, genießen Mieter einen grundgesetzlich geschützten Anspruch auf den Erhalt ihrer Wohnung als Lebensmittelpunkt.

Unwirksamkeit der Verwertungskündigung

Das Landgericht Berlin II entschied, dass die Verwertungskündigung im vorliegenden Fall unwirksam war. Die Richter wiesen darauf hin, dass eine Kündigung nur dann gerechtfertigt ist, wenn die Fortführung des Mietverhältnisses für den Vermieter einen erheblichen Nachteil darstellt.

Im vorliegenden Fall war dies nach Auffassung des Gerichtes nicht gegeben, obwohl die Vermieterin dargelegt hatte, dass sie durch den Verzicht auf den Neubau und den Verkauf des Grundstücks finanzielle Einbußen hinnehmen müsste. Demgegenüber stünden die erheblichen Nachteile für den Mieter, welcher durch einen Wohnungsverlust seinen langjährigen Lebensmittelpunkt verlieren würde und sich zudem auf dem angespannten Berliner Wohnungsmarkt mit steigenden Mieten und Wohnungsknappheit nach einem neuen Zuhause umsehen müsste. Die Richter betonten, dass das Eigentum des Vermieters auch eine soziale Verpflichtung beinhaltet und nicht allein der Gewinnmaximierung dient.

Schlüsselfaktoren der richterlichen Abwägung

In seiner Entscheidung berücksichtigte das Gericht verschiedene Aspekte. Zum einen wurde hervorgehoben, dass die Vermieterin das Objekt in Kenntnis der bestehenden Mietverhältnisse und der damit verbundenen rechtlichen Situation erworben hatte. Ihr war also bewusst, dass die Kündigungsmöglichkeiten begrenzt sind und die Mieterrechte zu beachten sind.

Zum anderen bezweifelte das Gericht, dass die geplante Vollsanierung tatsächlich alternativlos war. Die Vermieterin habe nicht ausreichend dargelegt, warum eine Sanierung in geringerem Umfang nicht nachhaltig und wirtschaftlich vertretbar sei.

Bedeutung des Ersatzwohnraums

Ein entscheidender Punkt in der Abwägung war die Frage nach angemessenem Ersatzwohnraum. Das Gericht betonte, dass die Vermieterin verpflichtet gewesen wäre, dem Mieter eine alternative Wohnung zu zumutbaren Konditionen anzubieten oder zu vermitteln, um die negativen Folgen der Kündigung für den Mieter abzumildern. Da ein solches Angebot nicht unterbreitet wurde, fiel die Abwägung zugunsten des Mieterschutzes aus.

✔ FAQ zum Thema: Gerichtliche Abwägung zwischen Verwertungsinteresse und Mieterschutz


Was ist eine Verwertungskündigung?

Eine Verwertungskündigung ist eine Form der Kündigung durch den Vermieter, um eine Immobilie anderweitig wirtschaftlich zu verwerten. Hintergrund für dieses Sonderkündigungsrecht ist die Überlegung, dass der Vermieter durch das Mietverhältnis nicht an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung seines Grundstücks gehindert werden soll.

Damit eine Verwertungskündigung wirksam ist, müssen laut Quellen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:

  1. Der Vermieter beabsichtigt eine andere Verwertung des Grundstücks, z.B. Verkauf, Sanierung, Abriss mit Neubau.
  2. Die geplante andere Verwertung ist angemessen für das Grundstück und von vernünftigen, nachvollziehbaren Erwägungen getragen.
  3. Der bestehende Mietvertrag hindert den Vermieter an der angemessenen wirtschaftlichen Verwertung.
  4. Dem Vermieter entstehen erhebliche wirtschaftliche Nachteile durch die Hinderung.

Der Vermieter muss die Kündigung ausführlich begründen und darlegen, dass er beabsichtigt, das Haus anders zu verwerten und warum er dies plant. Eine bloße Erhöhung der Mieteinnahmen durch Neuvermietung reicht nicht aus. Es muss eine Interessenabwägung zwischen den wirtschaftlichen Interessen des Vermieters und den Mieterinteressen am Fortbestand des Mietverhältnisses vorgenommen werden.


Wann ist eine Verwertungskündigung juristisch gerechtfertigt?

Eine Verwertungskündigung durch den Vermieter ist nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB nur dann juristisch gerechtfertigt, wenn folgende Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:

  1. Der Vermieter beabsichtigt eine anderweitige angemessene wirtschaftliche Verwertung des Grundstücks, z.B. durch Verkauf, grundlegende Sanierung oder Abriss und Neubau. Eine bloße Mieterhöhung durch Neuvermietung reicht nicht aus.
  2. Die geplante Verwertung muss auf vernünftigen und nachvollziehbaren Erwägungen beruhen. Der Vermieter muss die Kündigung ausführlich begründen und darlegen, warum er die Immobilie anders verwerten will.

Das bestehende Mietverhältnis hindert den Vermieter an der angemessenen wirtschaftlichen Verwertung.

Dem Vermieter müssen durch die Hinderung erhebliche wirtschaftliche Nachteile entstehen. Ein erheblicher Nachteil liegt nicht schon bei geringfügigen Verlusten vor. Die dem Vermieter entstehenden Nachteile dürfen die Nachteile des Mieters im Falle eines Wohnungsverlustes nicht weit übersteigen.

Bei der gerichtlichen Überprüfung einer Verwertungskündigung ist stets eine Abwägung der Vermieter- und Mieterinteressen im Einzelfall vorzunehmen. Der Vermieter muss die erheblichen Nachteile konkret darlegen und beweisen. Pauschale Behauptungen wie eine „Sicherung der Existenzgrundlage“ reichen nicht aus.

Die Hürden für eine wirksame Verwertungskündigung sind hoch, da neben den Eigentumsrechten des Vermieters auch das grundgesetzlich geschützte Besitzrecht des Mieters an der Wohnung zu berücksichtigen ist. Eine Kündigung nur zur Gewinnmaximierung ist unzulässig.


Welche Rechte haben Mieter bei einer Verwertungskündigung?

Mieter haben spezifische Rechte und Schutzmechanismen, wenn sie mit einer Verwertungskündigung konfrontiert werden. Diese Rechte sind im deutschen Mietrecht festgelegt und sollen sicherstellen, dass Mieter fair behandelt werden und nicht ungerechtfertigt ihre Wohnungen verlieren.

  • Widerspruchsrecht: Mieter können der Verwertungskündigung widersprechen. Dies muss spätestens zwei Monate vor Beendigung des Mietverhältnisses erfolgen. Der Widerspruch kann darauf basieren, dass die Voraussetzungen für eine wirksame Verwertungskündigung nicht erfüllt sind oder dass ein Härtefall vorliegt, der eine Fortsetzung des Mietverhältnisses rechtfertigt.
  • Härtefallregelung: Ein Härtefall kann geltend gemacht werden, wenn die Kündigung für den Mieter und seine Familie eine besondere Härte darstellen würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. Beispiele für Härtefälle können Alter, Gesundheitszustand oder fehlende Alternativwohnungen sein.
  • Überprüfung der Kündigungsgründe: Mieter haben das Recht, die vom Vermieter vorgebrachten Gründe für die Verwertungskündigung gerichtlich überprüfen zu lassen. Dies schließt die Prüfung ein, ob die Kündigung tatsächlich notwendig ist, um erhebliche wirtschaftliche Nachteile abzuwenden, und ob die geplante Verwertung angemessen und von vernünftigen Erwägungen getragen ist.
  • Informationspflicht des Vermieters: Der Vermieter muss die Gründe für die Verwertungskündigung klar und nachvollziehbar darlegen. Eine unzureichende Begründung kann zur Unwirksamkeit der Kündigung führen.
  • Entschädigung: In bestimmten Fällen kann dem Mieter bei einer Verwertungskündigung eine Entschädigung zustehen, insbesondere wenn die Kündigung aufgrund von Umständen erfolgt, die der Vermieter zu verantworten hat.

Diese Rechte sind darauf ausgerichtet, eine Balance zwischen den Interessen des Vermieters an der wirtschaftlichen Nutzung seines Eigentums und den Schutzbedürfnissen der Mieter zu schaffen. Sie ermöglichen es Mietern, sich gegen ungerechtfertigte oder schlecht begründete Kündigungen zur Wehr zu setzen und fördern eine faire und transparente Handhabung von Kündigungen im Mietrecht.


§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils

  • § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB: Dieser Paragraph regelt die Kündigung eines Mietverhältnisses bei berechtigtem Interesse des Vermieters. Ein berechtigtes Interesse besteht, wenn der Vermieter durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert wird und erhebliche Nachteile erleidet. Dies ist zentral, da im vorliegenden Fall die Kündigung darauf basierte, und das Gericht feststellte, dass diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind.
  • § 242 BGB (Treu und Glauben): Dieses Gesetz bezieht sich auf den Grundsatz von Treu und Glauben, der verlangt, dass Rechte nicht in einer Weise ausgeübt werden dürfen, die anderen Vertragsparteien unzumutbar schadet. Im Text wird erwogen, ob die Kündigung aufgrund von Verstößen gegen diesen Grundsatz unwirksam sein könnte, speziell im Hinblick auf das Verhalten der Klägerin bezüglich des Zustands des Gebäudes.
  • Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG (Eigentumsgarantie): Dieser Artikel des Grundgesetzes schützt das Eigentumsrecht, aber er betont auch die Sozialpflichtigkeit des Eigentums. Die Entscheidung des Gerichts betont, dass das Eigentumsrecht des Vermieters nicht das Recht einschließt, das Objekt ohne Rücksicht auf soziale Belange optimal wirtschaftlich zu verwerten. Diese Auslegung ist entscheidend, um zu bestimmen, inwieweit der Vermieter seine Interessen durchsetzen kann.
  • § 522 Abs. 2 ZPO: Dieser Paragraph definiert die Möglichkeiten, eine Berufung als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen. Da der Beschluss sich auf dieses Gesetz bezieht, um die Berufung der Klägerin abzulehnen, stellt es einen wichtigen rechtlichen Mechanismus dar, um langwierige und aussichtslose Verfahren zu vermeiden.
  • § 546 Abs. 1, § 985 BGB: Diese Vorschriften regeln den Räumungsanspruch des Vermieters bzw. den Herausgabeanspruch nach Beendigung des Mietverhältnisses. Sie sind relevant, da das Gericht feststellt, dass der Klägerin diese Ansprüche nicht zustehen, weil die Kündigung das Mietverhältnis nicht wirksam beendet hat.


➜ Das vorliegende Urteil vom Landgericht Berlin II

LG Berlin II – Az.: 67 S 289/23 – Beschluss vom 11.03.2024

Die Kammer beabsichtigt, die Berufung als offensichtlich unbegründet im Beschlusswege zurückzuweisen.

Tatbestand:

I.

Die Berufung ist gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen, da sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat und auch die sonstigen Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO erfüllt sind.

Der Klägerin steht der geltend gemachte Räumungs- und Herausgabeanspruch gemäß §§ 546 Abs. 1, 985 BGB nicht zu, da die Kündigung vom 1. August 2022 das Mietverhältnis nicht beendet hat.

Die Voraussetzungen der § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB sind nicht erfüllt. Danach hat der Vermieter ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses, wenn er durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert ist und dadurch erhebliche Nachteile erleiden würde.

Dabei kann zunächst dahinstehen, ob es sich bei dem von der Klägerin verfolgten Projekt nicht bereits um ein von der Rechtsordnung missbilligtes oder außerhalb der Eigentumsgarantie liegendes Spekulationsgeschäft handelt, weil die Klägerin das Grundstück in Kenntnis der Sanierungsbedürftigkeit der Bestandsgebäude von vornherein zum Zweck eines Neubaus erworben und für das Grundstück einen Preis gezahlt hat, der durch die Erwartung beeinflusst war, dass sie mit dem Neubau und anschließendem Verkauf voraussichtlich einen erheblichen Gewinn verwirklichen kann (vgl. BGH, Urt. v. 28. Januar 2009 – VIII ZR 8/08, BGHZ 179, 289; Kammer, Urt. v. 25. September 2014 – 67 S 207/14, NZM 2015, 163).

Es bedarf ebenfalls keiner abschließenden Entscheidung der Kammer, ob die Kündigung schon wegen Verstoßes gegen § 242 BGB unwirksam ist, weil die zur Begründung des beabsichtigten Abrisses des Bestandsgebäudes herangezogene Sanierungsbedürftigkeit des erst im Jahre 1984 errichteten Gebäudes auf einer planvollen Untätigkeit der Rechtsvorgängerin der Klägerin oder der Klägerin selbst beruht, die durch rechtzeitige und nachhaltige Investitionen in den Gebäudebestand hätte vermieden werden können (vgl. BGH, Urt. v. 28. Januar 2009, a.a.O., Tz. 22).

Soweit das Amtsgericht die Wirksamkeit der Kündigung unter Verweis auf alternative Verwertungsmöglichkeiten wie die unsanierte Weiterveräußerung des Grundstücks oder eine Teilsanierung verneint hat, begegnet das im Hinblick auf die grundrechtlich geschützte wirtschaftliche Dispositionsfreiheit des Vermieters zwar Bedenken (vgl. BGH, Urt. v. 28. Januar 2009, a.a.O., Tz. 21). Ob diese durchgreifen, kann jedoch ebenfalls dahinstehen. Denn das Amtsgericht hat jedenfalls im Ergebnis zutreffend erkannt, dass der Klägerin durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses kein erheblicher Nachteil entstehen würde.

Die Beurteilung der Frage, ob dem Eigentümer durch den Fortbestand eines Mietvertrags ein erheblicher Nachteil entsteht, ist vor dem Hintergrund der Sozialpflichtigkeit des Eigentums und des Bestandsinteresses des Mieters, in der bisherigen Wohnung als seinem Lebensmittelpunkt zu verbleiben, vorzunehmen. Das Eigentum gewährt dem Vermieter keinen Anspruch auf Gewinnoptimierung oder auf Einräumung gerade der Nutzungsmöglichkeiten, die den größtmöglichen wirtschaftlichen Vorteil versprechen. Denn auch das Besitzrecht des Mieters an der gemieteten Wohnung ist Eigentum im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG und deshalb grundgesetzlich geschützt. Die dem Vermieter entstehenden Nachteile dürfen andererseits keinen Umfang annehmen, welcher die Nachteile weit übersteigt, die dem Mieter im Falle des Verlustes der Wohnung erwachsen. Diese Abwägung zwischen dem Bestandsinteresse des Mieters und dem Verwertungsinteresse des Eigentümers entzieht sich einer generalisierenden Betrachtung; sie lässt sich nur im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und der wechselseitigen Interessen beider Vertragsparteien treffen (vgl. BVerfG, Urt. v. 14. Februar 1989 – 1 BvR 1131/87, NJW 1989, 972; Beschl. v. 12. November 2003 – 1 BvR 1424/02, ZMR 2004, 95; BGH, Urt. v. 27. September 2017 – VIII ZR 243/16, NJW-RR 2018, 12, beckonline Tz. 22; Kammer, Urt. v. 25. September 2014, a.a.O., Tz. 8; Urt. v. 20. September 2018 – 67 S 16/18, NJOZ 2019, 1213, beckonline Tz. 10, jeweils m.w.N.).

Soweit dem zuwider teilweise vertreten wird, im Rahmen des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB seien ausschließlich die Interessen des Vermieters beachtlich, während die konkreten Interessen des von der Kündigung betroffenen Mieters an der Aufrechterhaltung des Mietverhältnisses ausschließlich im Rahmen der §§ 574 ff. BGB und nicht schon auf der Tatbestandsebene des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB zu berücksichtigen seien (vgl. etwa Geib, in: BeckOGK BGB, Stand: 1. Januar 2024, § 573 Rz. 116; Häublein, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 573 Rz. 9. Aufl. 2023, § 573 Rz. 132), widerspricht das der ständigen Rechtsprechung der Kammer (vgl. Urt. v. 25. September 2014, a.a.O., Tz. 15; Urt. v. 20. September 2018, a.a.O., Tz. 12, jeweils m.w.N.). An dieser ist schon wegen des Wortlauts der Norm und des über Art. 14 Abs. 1 GG verbrieften Anspruchs der Wohnraummieter festzuhalten, dass die Gerichte bei der Anwendung der §§ 573 ff. BGB und der Auslegung der dort enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe die Bedeutung und Tragweite des mieterseitigen Bestandsinteresses hinreichend erfassen und berücksichtigen (st Rspr., vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 26. Mai 1993 – 1 BvR 208/93, NJW 1993, 2035). Das aber erfordert bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „erheblich“ i.S.d. § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB nicht anders als bei § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB die Berücksichtigung und Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls und damit auch der konkreten Interessen des Mieters am Fortbestand des Mietverhältnisses (vgl. Kammer, Beschluss vom 23. März 2021 – 67 S 11/21, WuM 2021, 457, beckonline Tz. 10). Eine lediglich schematische Berücksichtigung der Mieterinteressen im Sinne eines „grundsätzlichen Bestandsinteresses“ liefe auf eine nicht mehr vom Gesetzeszweck des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB getragene Leerformel hinaus. Sie stünde zudem im Widerspruch zu der Rechtsprechung des BVerfG (Beschl. v. 12. November 2003, a.a.O.), der jüngeren Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 16. Dezember 2020 – VIII ZR 70/19, WuM 2021, 119, beckonline Tz. 17, 20) und der überwiegenden Instanzrechtsprechung (vgl. etwa LG Itzehoe, Urt. v. 24. August 2021 – 9 S 8/21, BeckRS 2021, 47421 Tz. 36; LG Köln Urt. v. 21. März 2018 – 9 S 18/18, BeckRS 2018, 7136 Tz. 19).

Gemessen an diesen Maßstäben ist der Eintritt eines erheblichen Nachteils i.S.d. § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB durch den Fortbestand des Mietverhältnisses nicht zu bejahen. Denn die der Klägerin im Fall einer Hinderung an der beabsichtigten wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks entstehenden wirtschaftlichen Nachteile würden jedenfalls keinen Umfang annehmen, der die Nachteile weit übersteigt, die dem Beklagten im Falle des Verlustes der Mietsache erwachsen würden.

Die Klägerin beabsichtigt ausweislich ihrer Kündigungserklärung, das Grundstück nach Abriss sämtlicher Wohnungen unter Einschluss der von dem Beklagten innegehaltenen Räume neu zu bebauen und den neu geschaffenen Wohnraum mit einer Rendite von 13,7 Millionen EUR zu veräußern. Bei Erhalt der bisherigen Bausubstanz und Fortbestand auch des streitgegenständlichen Mietverhältnisses wäre die Klägerin ausweislich ihres von dem Beklagten bestrittenen Vortrags gehalten, das Gesamtobjekt mit einem Aufwand von 6,9 Millionen EUR zu sanieren und fortan mit einer jährlichen Unterdeckung zu bewirtschaften.

Das Unterlassen einer Entwicklung und gewinnbringenden Veräußerung des Grundstücks ist für die Klägerin nach ihrem eigenen Vortrag ebenso wirtschaftlich nachteilig wie eine sich in näherer Zukunft nicht amortisierende Gebäudesanierung. Bei der vorzunehmenden Abwägung der unterschiedlichen Interessen beider Vertragsparteien ist jedoch zunächst zu Lasten der Klägerin zu berücksichtigen, dass sie das Objekt in Kenntnis der Vermietung an den Beklagten und damit in Kenntnis der eingeschränkten Möglichkeiten zur Änderung oder gar Beendigung der bestehenden Mietverhältnisse erworben hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. November 2003, a.a.O, Tz. 13; Kammer, Urt. v. 25. September 2014, a.a.O., Tz. 17; Urt. v. 20. September 2018, a.a.O., Tz. 11). Daneben ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin hinsichtlich ihres alternativen Sanierungskonzepts keine Bauverpflichtung trifft. Sie ist daher nicht aus Rechtsgründen gezwungen, ihr zum Gegenstand der Kündigungen erhobenes Sanierungskonzept tatsächlich umzusetzen (vgl. Kammer, Urt. v. 20. September 2018, a.a.O. Tz. 11). Auch tatsächliche Umstände verpflichten die Klägerin nicht zur Vollsanierung. Denn es lässt sich insbesondere vor dem Hintergrund der in den Jahren 2006/2007 erfolgten energetischen Gebäudesanierung aus der Kündigungserklärung nicht entnehmen, dass und warum eine Sanierung auch geringeren Umfangs nicht nachhaltig und ausreichend wäre. Der für den Vermieter mit einer nachhaltigen Gebäudesanierung verbundene Kostenaufwand ist aber schon grundsätzlich nicht geeignet, einen erheblichen Nachteil i.S.d. § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB zu rechtfertigen (vgl. BGH, Urt. v. 28. Januar 2009, a.a.O., Tz. 12; Kammer, Urt. v. 25. September 2014, a.a.O., Tz. 13). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem über den Inhalt der Kündigungserklärung hinausgehenden schriftsätzlichen Vortrag der Klägerin, der schon wegen der den Vermieter treffenden Begründungspflicht des § 573 Abs. 3 Satz 1 BGB nicht geeignet wäre, im Rahmen der Interessenabwägung eine der Klägerin günstigere Beurteilung zu rechtfertigen (vgl. BGH, Urt. v. 27. September 2017 – VIII ZR 243/16, NZM 2017, 756, beckonline Tz. 27, 32).

Hinzu treten die wirtschaftlichen und persönlichen Nachteile des Beklagten für den Fall der verwertungsbedingten Beendigung des Mietverhältnisses. Der Beklagte würde im Falle der verwertungsbedingten Beendigung des Mietverhältnisses nicht nur seinen langjährigen Lebensmittelpunkt verlieren. Er wäre zudem gezwungen, sich mit ungewissem Ausgang auf dem durch erhebliche Preisanstiege und eine Verknappung freien Ersatzwohnraums gekennzeichneten Berliner Wohnungsmarkt zu behaupten (vgl. Kammer, Urt. v. 25. Januar 2024 – 67 S 264/22); außerdem müsste er die weiteren mit einem Wohnungswechsel verbundenen finanziellen und sonstigen Belastungen tragen (vgl. Kammer, Urt. v. 25. September 2014, a.a.O.; Urt. v. 20. September 2018, a.a.O., Tz. 12). Diese erheblichen materiellen und immateriellen Nachteile des Beklagten überwiegen die der Klägerin durch einen Fortbestand des Mietverhältnisses entstehenden wirtschaftlichen Einbußen; erst recht nehmen die der Klägerin entstehenden wirtschaftlichen Nachteile keinen Umfang an, der die Nachteile weit übersteigt, die dem Beklagten im Falle des Verlustes der Mietsache erwachsen würden.

Eine der Klägerin günstigeres Abwägungsergebnis wäre allenfalls dann gerechtfertigt gewesen, wenn sie dem Beklagten zur Vermeidung der wesentlichen kündigungsbedingten Nachteile angemessenen Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen angeboten oder vermittelt hätte (vgl. Kammer, Urt. v. 25. September 2014, a.a.O.; Urt. v. 20. September 2018, a.a.O., Tz. 12; LG Köln, a.a.O., Tz. 20). Dazu hätte es allerdings der Unterbreitung eines bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unwiderruflichen Angebots zur Anmietung von Ersatzwohnraum gegenüber dem Beklagten bedurft (vgl. Kammer, Urt. v. 25. September 2014, a.a.O.; Urt. v. 20. September 2018, a.a.O., Tz. 12). Ein solches Angebot ist nicht erfolgt.

II.

Die Klägerin erhält Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 2 Wochen, auch zu der Frage, ob die Berufung vor dem Hintergrund des erteilten Hinweises zurückgenommen wird. Auf die damit verbundene Kostenreduzierung gemäß Ziffer 1222 KV-GKG weist die Kammer vorsorglich hin.

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