LG Berlin – Az.: 65 S 45/18 – Urteil vom 28.06.2018
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Pankow/Weißensee vom 24. Januar 2018 – 100 C 136/17 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß §§ 313 a, 540 Abs. 3 ZPO i. V. m. § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.
II.
1. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist unbegründet. Im Ergebnis rechtfertigen die der Entscheidung zugrunde zu legenden Tatsachen keine andere Entscheidung, §§ 513, 529, 546 ZPO.
Ein Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten auf Räumung und Herausgabe der von ihm inne gehaltenen Räumlichkeiten aus § 546 Abs. 1 BGB besteht nicht. Die von der Klägerin mit Schreiben vom 7. April 2017 ausgesprochene Kündigung hat das zwischen den Parteien bestehende Mietverhältnis zwar fristgemäß beendet. Der Durchsetzung des Räumungsanspruchs der Klägerin steht aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls hier jedoch ausnahmsweise der Einwand rechtsmissbräuchlichen Verhaltens (§ 242 BGB) entgegen.
Die Voraussetzungen des § 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB lagen im maßgeblichen Zeitpunkt des Ausspruchs und Zugangs der Kündigung vom 7. April 2017 vor.
Danach kann der Vermieter das Mietverhältnis kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat; ein solches liegt insbesondere dann vor, wenn der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat.
Die Klägerin stützt die Kündigung auf einen Mietrückstand in Höhe von 1.174,28 €, der im Wesentlichen darauf beruht, dass der Beklagte in den Monaten November/Dezember 2016 sowie Februar und März/April 2017 die monatliche Miete in Höhe von 297,00 € nicht zahlte, im Januar 2017 allerdings einen Betrag in Höhe von 642,35 € überwies, der den damit zunächst entstandenen Mietrückstand teilweise ausglich, bevor er im März und April erneut keine Miete zahlte.
Der Mietrückstand bestand nicht in der von der Klägerin der Kündigung zugrunde gelegten Höhe, denn der Beklagte war – anders als die Klägerin meint – ab 4. September bis zum 30. November 2016 ununterbrochen nach § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB von seiner Mietzahlungspflicht befreit, denn die Gebrauchstauglichkeit der aus einem Zimmer bestehenden Wohnung des Beklagten war wegen des Ausmaßes der mit Schreiben vom 15. März 2016 angekündigten und in dieser Zeit ausgeführten Modernisierungsarbeiten vollständig aufgehoben. Der Umstand, dass der Beklagte die Wohnung wegen einer Urlaubsreise und eines Aufenthaltes außerhalb Berlins innerhalb des Zeitraums teilweise nicht „benötigte“, entlastete die Klägerin von Hotelkosten, führte aber nicht dazu, dass die Voraussetzungen des § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht mehr vorlagen. Das Gesetz knüpft den Eintritt der Mietminderung seinem Wortlaut nach an die Tauglichkeit der Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch, nicht an den Gebrauch als solchen. Umgekehrt wird der Mieter von der Entrichtung der Miete nicht befreit, wenn er aus einem in seiner Person liegenden Grund am Gebrauch der Mietsache gehindert ist, § 537 Abs. 1 BGB.
Dies zugrunde gelegt, betrug der Rückstand im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung mit Schreiben vom 14. Februar 2017 nicht 545,65 €, sondern maximal 216,37 € und würde sich weiter reduzieren, wenn die von der Klägerin zugestandene längere Standzeit des Gerüstes bis zum 7. März 2017 und die ebenfalls zugestandene fehlende Funktionsfähigkeit der Klingelanlage sowie der Zustand der Briefkästen berücksichtigt würden. Der Beklagte hätte mit der unvollständigen Zahlung zwar seine vertragliche Hauptleistungspflicht aus § 535 Abs. 2 BGB verletzt; der Pflichtverletzung kommt jedoch noch nicht das den Ausspruch einer Kündigung rechtfertigende Gewicht zu.
Anders verhält es sich mit dem Mietrückstand, der der Kündigung vom 7. April 2017 zugrunde liegt. Auch dieser besteht in geringerer Höhe, überschreitet indes – auch unter Berücksichtigung der vorgenannten fortbestehenden Mängel – deutlich zwei Monatsmieten und damit die in § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB vorausgesetzte Erheblichkeitsschwelle, denn der Rückstand rechtfertigte selbst den Ausspruch einer fristlosen Kündigung nach § 543 Abs. 2 Nr. 3 Nr. b) BGB, die indes nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB unwirksam geworden ist.
Zu Recht wendet die Klägerin sich gegen die Feststellungen des Amtsgerichts zum fehlenden Verschulden des Beklagten aufgrund einer fehlerhaften Einschätzung der Sach- und Rechtslage.
Ein unverschuldeter Rechtsirrtum liegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs regelmäßig nur vor, wenn der Schuldner die Rechtslage unter Einbeziehung der höchstrichterlichen Rechtsprechung sorgfältig geprüft hat und er bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit einer anderen Beurteilung durch die Gerichte nicht zu rechnen brauchte. Auch bei einem im Bereich des Tatsächlichen angesiedelten Irrtums besteht dafür kein Grund (BGH, Urt. 11.07.2012 – VIII ZR 138/11, WuM 2012, 499, juris Rz. 19f., mwN; Urt. v. 11.04.2012 – XII ZR 48/10, WuM 2012, 323, Juris Rz. 31; Urt. v. 25.10.2006 – VIII ZR 102/06, WuM 2007, 24, juris Rz. 13; Urt. v. 04.07.2001 – VIII ZR 279/00, NJW 2001, 3114, juris Rz. 15; Urt. v. 09.02.1951, NJW 1951, 398, juris).
Eine als unübersichtlich eingeschätzte Sach- und Rechtslage ist – anders als das Amtsgericht meint – nach diesen Maßstäben schon kein Grund, (einseitig) zugunsten des Mieters die für beide Parteien gleichermaßen geltenden Sorgfaltsanforderungen herabzusetzen und damit dem Vermieter das Risiko einer Fehleinschätzung der Sach- und Rechtslage durch den Mieter aufzubürden. Der Mieter wird damit nicht rechtlos gestellt, denn – ebenso wie im Zweifel der Vermieter – kann er eine gerichtliche Klärung herbeiführen, die Miete gegebenenfalls unter Vorbehalt zahlen (vgl. BGH, Urt. v. 11.07.2012 – VIII ZR 138/11, WuM 2012, 499, juris Rn. 20).
Bei sorgfältiger Prüfung hätte der Beklagte ohne weiteres erkennen können, dass seine Einschätzung der tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten nicht nur zweifelhaft, sondern ganz überwiegend unzutreffend ist.
Der Wortlaut der vom Beklagten geltend gemachten Zusage einer Mietminderung von 100 % für „bis zu 5 Monate“ lässt sich bei verständiger Würdigung schon nicht dahin (miss-)verstehen, dass unabhängig von den tatsächlichen Beeinträchtigungen durch die Modernisierungsarbeiten, für 5 Monate keine Mietzahlungen vorzunehmen sind, dies auch deshalb nicht, weil die Klägerin den Zusammenhang zwischen Höhe der Mietminderung und Gebrauchsbeeinträchtigung unter Ziff. 13 der Modernisierungsankündigung dem entsprechend erläutert hat. Soweit der Beklagte eine mangelhafte bzw. nicht abgeschlossene Ausführung von Arbeiten in seiner Wohnung bzw. in den Gemeinschaftsbereichen geltend macht, musste sich ihm ohne weiteres aufdrängen, dass etwaige – von der Klägerin teilweise eingeräumte – Mängel die Miete nicht auf Null reduzierten und seine Zahlungspflicht vollständig entfallen ließen. Sollte er die Einstellung der Mietzahlung als Druckmittel (§ 320 BGB) im Blick gehabt haben, so wäre es nicht nur naheliegend, sondern erforderlich gewesen, der Klägerin diesen Zusammenhang offen zu legen und ihr Mängel in den Räumlichkeiten mitzuteilen, die sich seit Ende November 2016 wieder in seinem Alleinbesitz befanden; mit der schlichten Einstellung von Zahlungen kann der Zweck des § 320 BGB als Druckmittel nicht erreicht werden. Bezüglich der Zusage einer Gutschrift durch die Vorvermieterin im Zusammenhang mit dem Abschluss des Mietvertrages Anfang 2014 war es in Kenntnis des Vermieterswechsels und mit Blick auf den Zeitablauf naheliegend und dem Beklagten zumutbar, vor einer unangekündigten Einstellung der Mietzahlung die Klägerin zu kontaktieren und eine Klärung herbeizuführen.
Auch die nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs weitergehend vorzunehmende wertende Betrachtung unter umfassender Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls im maßgeblichen Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung lassen deren Wirksamkeit hier (noch) nicht entfallen.
Zwar ist zugunsten des Beklagten zu berücksichtigen, dass er – seiner Verpflichtung aus § 555d BGB entsprechend – die Durchführung der Modernisierungsmaßnahmen – nach dem Vortrag der Parteien – rücksichtsvoll geduldet hat, etwa indem er der Klägerin Zeiten der Abwesenheit vorab mitgeteilt und damit den Aufwand für die Bereitstellung einer Alternativunterkunft auf das unbedingt erforderliche Maß reduziert hat. Zu berücksichtigen ist auch, dass die hier durchgeführten Maßnahmen aufgrund ihres Umfangs – etwa des erforderlichen Auszugs aus der Wohnung für drei Monate – mit schwerwiegenden Eingriffen in das Besitzrecht des Beklagten an den vermieteten Räumlichkeiten verbunden waren (vgl. Wertungen in LG, Urt. v. 17.02.2016 – 65 S 301/16, NJW 2016, 2583, juris).
Das eigene nicht vertragsgerechte Verhalten der Klägerin – die von ihr teilweise eingeräumten nicht abgeschlossenen Modernisierungsarbeiten – lassen die Pflichtverletzung des Beklagten im Dezember 2016 im Rahmen der wertenden Betrachtung vor diesem Hintergrund noch weniger schwerwiegend erscheinen. Mit dem erneuten Ausbleiben jeder Zahlung ab Februar 2017 bis einschließlich April 2017, nach dem teilweisen Ausgleich des Rückstandes durch den Beklagten im Januar 2017, dies ohne Angabe von Gründen erreicht die schuldhafte Pflichtverletzung des Beklagten das kündigungsrelevante Gewicht.
Die vom Beklagten bewirkte Schonfristzahlung nach § 569 BGB führt nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die in Übereinstimmung mit dem Gesetz, seinen Materialien und dem – inzwischen – offenkundigen Willen des Gesetzgebers steht, nicht zur Unwirksamkeit der fristgemäß ausgesprochenen Kündigung. Auch lassen sich keine konkreten allgemeinen Regeln aufstellen, unter welchen Voraussetzungen ein Ausgleich der Mietrückstände innerhalb der Schonfrist der Durchsetzung des Räumungsanspruchs aufgrund der (wirksamen) ordentlichen Kündigung entgegensteht (vgl. BGH, Beschl. v. 06.10.2015 – VIII ZR 321/14, WuM 2016, 225, juris Rz. 7, vorhergehend: LG Bonn, Urt. v. 06.11.2014 – 6 S 154/14, WuM 2015, 293).
Besondere Umstände des Einzelfalls, die festzustellen und zu würdigen Aufgabe des jeweiligen Tatrichters ist, können der Durchsetzung des Räumungsanspruchs dessen ungeachtet unter dem Gesichtspunkt rechtsmissbräuchlichen Verhaltens (§ 242 BGB) entgegenstehen. Sie können sich aus dem Verhalten nach Erhalt der Kündigung ergeben sowie daraus, dass keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass es erneut zu Zahlungsrückständen kommen wird, etwa deshalb, weil es auch in der Vergangenheit keine gab (vgl. BGH, Beschl. v. 06.10.2015, aaO; Beschl. v. 23.02.2016 – VIII ZR 321/14, Grundeigentum 2016, 455, juris Rz. 5f.).
Vergleichbare besondere Umstände sind hier gegeben. Der Beklagte hat hier – inzwischen anwaltlich beraten – vor Einreichen der Räumungsklage am 9. Mai 2017 bereits am 25. April 2017 nicht nur alle Mietrückstände bis einschließlich April beglichen, sondern darüber hinaus die Mieten für die Monate Mai und Juni 2017 im Voraus gezahlt. Der Beklagte hat damit deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er gewillt und in der Lage ist, zu seinem vorangegangenen, oben dargestellten vertragsgerechten Verhalten zurückzukehren und bestätigt, dass er – wie schon zuvor – die Interessen der Klägerin respektiert. Das wiederum erlaubt in der Gesamtwürdigung die Prognose, dass es nicht erneut zu Zahlungsrückständen kommen wird.
2. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO.
3. Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 1, 2 ZPO nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordern. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf der Grundlage des Gesetzes, seiner Materialien und höchstrichterlich bereits entwickelter Maßstäbe.