Ein Berliner Vermieter forderte 26.000 Euro Schadensersatz wegen massiver Mietschäden, doch ihm drohte die sechsmonatige Verjährungsfrist im Mietrecht. Er scheiterte an der Beweispflicht für das genaue Rückgabedatum der Mietsache; der gesamte Anspruch scheiterte an einem einzigen, unpräzisen Satz.
Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Experten Kommentar
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Wann verjähren meine Ansprüche als Vermieter wegen Mietschäden nach dem Auszug?
- Ab welchem genauen Datum beginnt die sechsmonatige Verjährungsfrist für Mietschäden (§ 548 BGB)?
- Wie widerlege ich vor Gericht erfolgreich den Einwand der Verjährung meiner Mietschaden-Klage?
- Welche Dokumente und Belege brauche ich als Vermieter, um die 6-Monats-Frist lückenlos zu beweisen?
- Kann ich in der Berufung neue Beweise vorlegen, wenn mein genauer Vortrag in erster Instanz fehlte?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 64 S 51/22 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landgericht Berlin
- Datum: 11.09.2024
- Aktenzeichen: 64 S 51/22
- Verfahren: Einstimmiger Beschluss über die Zurückweisung der Berufung
- Rechtsbereiche: Mietrecht, Verjährung, Zivilprozessrecht
- Das Problem: Ein Vermieter forderte von seinen ehemaligen Mietern Schadenersatz für Beschädigungen in der Wohnung. Die Mieter sagten, diese Forderungen seien bereits verjährt.
- Die Rechtsfrage: Muss der Vermieter beweisen, wann genau er die Wohnung nach dem Auszug wieder übernommen hat, damit seine Forderungen gegen die Mieter nicht verjähren?
- Die Antwort: Ja, die Schadenersatzansprüche sind verjährt. Der Vermieter konnte den genauen Tag seiner Wiederinbesitznahme nicht rechtzeitig im Prozess belegen. Später vorgelegte Beweise konnten diesen Fehler nicht heilen.
- Die Bedeutung: Vermieter müssen den Zeitpunkt der Wiederinbesitznahme der Wohnung präzise beweisen. Versäumt der Vermieter dies im Prozess, sind seine Schadenersatzansprüche wegen Verjährung verloren.
Der Fall vor Gericht
Worum ging es in dem Fall?
Ein Rechtsstreit ist kein fairer Wettkampf um die Wahrheit. Er ist ein Kampf nach strengen Regeln. Ein Vermieter aus Berlin musste diese Lektion auf die harte Tour lernen. Sein Fall schien klar: Seine ehemaligen Mieter hatten die Wohnung nach fast zwei Jahrzehnten in einem desolaten Zustand hinterlassen. Die Forderung: über 26.000 Euro Schadensersatz für Malerarbeiten, kaputte Türen, zerstörte Böden und eine fehlende Küche. Doch am Ende ging es nicht um die sichtbaren Schäden. Es ging um einen einzigen, unpräzisen Satz, den sein Anwalt vor Gericht sagte – ein Fehler, der ihn den gesamten Prozess kostete.
Warum war der genaue Zeitpunkt der Wohnungsrückgabe so kritisch?
Das Gesetz schützt Mieter vor ewig andauernden Forderungen. Für Schadensersatzansprüche wegen Verschlechterung der Mietsache kennt das Bürgerliche Gesetzbuch eine kurze Verjährungsfrist von nur sechs Monaten. Diese Frist beginnt an dem Tag, an dem der Vermieter die Wohnung zurückerhält (§ 548 BGB). Im Klartext: Ab diesem Moment hat der Vermieter ein halbes Jahr Zeit, seine Forderungen gerichtlich geltend zu machen. Danach sind sie verjährt.
In diesem Fall wurde die Klage des Vermieters am 8. Juni 2021 bei Gericht eingereicht. Die Rechnung war einfach. Damit die Klage rechtzeitig war, durfte die Sechsmonatsfrist frühestens am 8. Dezember 2020 begonnen haben. Der Vermieter musste die Wohnung also am oder nach dem 8. Dezember 2020 wieder in seinen Besitz bekommen haben. Die Mieter behaupteten, der Vermieter hätte schon im Oktober 2020 wieder die Kontrolle über die Wohnung gehabt. Die Klage sei verspätet. Der gesamte Fall hing an diesem Kalenderstreit.
Welchen Fehler machte der Vermieter vor Gericht?
Die Mieter hatten die Verjährung ins Spiel gebracht. Das war ihr gutes Recht. Jetzt lag der Ball beim Vermieter. Er musste diesen Einwand entkräften. Juristen nennen das die „Sekundäre Darlegungspflicht„. Der Vermieter musste dem Gericht nun konkret und schlüssig erklären, wann genau er die Wohnung zurückbekommen hat, um zu beweisen, dass seine Klage nicht zu spät kam.
Hier passierte der fatale Fehler. Der Anwalt des Vermieters erklärte vor dem Amtsgericht Charlottenburg nur, sein Mandant habe die Wohnung „im Dezember 2020 leer vorgefunden“ und das Schloss „Ende Dezember 2020“ gewechselt. Diese Aussage war zu vage. „Im Dezember“ konnte auch der 1., 2. oder 7. Dezember bedeuten. Jeder dieser Tage hätte die Klage verjähren lassen. Das Gericht wies den Anwalt auf diese Lücke in seiner Argumentation hin. Es gab ihm die Chance, den Zeitpunkt zu präzisieren. Doch der Anwalt tat es nicht. Er nannte in der mündlichen Verhandlung kein konkretes Datum.
Wieso konnte die nachträglich vorgelegte Rechnung den Fall nicht mehr retten?
Erst in der Berufung, nachdem er den Prozess in erster Instanz verloren hatte, wurde der Vermieter konkret. Er legte eine Rechnung eines Schlüsseldienstes vom 9. Dezember 2020 vor. Er erklärte, er habe die Wohnung erstmals am 8. Dezember betreten. Das war der Beweis, den er von Anfang an gebraucht hätte. Doch jetzt war es zu spät.
Ein Zivilprozess folgt dem Grundsatz der Mündlichkeit. Was in der entscheidenden Verhandlung nicht gesagt wird, ist für das Urteil nicht existent. Der Inhalt dieser Verhandlung wird in einem Protokoll und im Tatbestand des Urteils festgehalten. Und dieses Dokument hat eine massive Beweiskraft (§ 314 ZPO). Im Tatbestand des ersten Urteils stand nur die vage Aussage „im Dezember“. Von einem konkreten Datum oder der Schlüsseldienstrechnung stand dort nichts. Der nachträgliche Vortrag des Vermieters widersprach dem offiziellen Dokument. Das Landgericht Berlin machte klar: Was nicht protokolliert ist, hat im Gerichtssaal nicht stattgefunden.
Wie urteilte das Landgericht Berlin am Ende?
Das Landgericht wies die Berufung des Vermieters mit einem einstimmigen Beschluss zurück (§ 522 Abs. 2 ZPO). Die Richter sahen keine Aussicht auf Erfolg. Die Argumentation war eine prozessuale Kette ohne schwaches Glied. Der Vermieter hatte seine sekundäre Darlegungspflicht in der ersten mündlichen Verhandlung nicht erfüllt. Seine unpräzise Angabe „im Dezember“ reichte nicht aus, um die von den Mietern erhobene Einrede der Verjährung zu entkräften.
Der spätere, präzisere Vortrag samt Rechnung konnte diesen Fehler nicht mehr heilen. Die Beweiskraft des Urteilstatbestands stand dem entgegen. Das Gericht stellte fest, dass die Klage als verjährt zu behandeln war. Der Vermieter verlor seinen Anspruch auf über 26.000 Euro nicht, weil es die Schäden nicht gab, sondern weil er einen entscheidenden Satz zur falschen Zeit unpräzise und zur richtigen Zeit gar nicht gesagt hatte. Die Kosten für beide Gerichtsverfahren musste er ebenfalls tragen.
Die Urteilslogik
In Zivilprozessen bestimmt die Einhaltung der kurzen Verjährungsfristen über den Anspruch, weshalb der Vermieter den Beginn dieser Frist präzise belegen muss, sobald die Gegenseite die Verjährung einwendet.
- [Beweislast der Inbesitznahme]: Wenn die Gegenseite die Verjährung einwendet, muss der Anspruchsteller den exakten Zeitpunkt der Wiederinbesitznahme der Mietsache benennen und stichhaltig belegen, um die Gültigkeit seiner Forderung zu sichern.
- [Fataler Mangel der Präzision]: Vage zeitliche Angaben („im Dezember“) genügen nicht, um prozessuale Deadlines einzuhalten, da die Unschärfe rechtlich als Nichterfüllung der sekundären Darlegungspflicht gewertet wird.
- [Bindung an den Tatbestand]: Spätere Beweismittel können einen fehlenden Sachvortrag in der mündlichen Verhandlung nicht ersetzen, weil der protokollierte Tatbestand des Ersturteils unwiderlegbare Beweiskraft über den tatsächlichen Verlauf des Prozesses entfaltet.
Der Erfolg einer Schadensersatzklage hängt oft nicht von der tatsächlichen Existenz der Schäden ab, sondern von der formalen Einhaltung prozessualer Pflichten und der lückenlosen Spezifikation des Sachvortrags.
Benötigen Sie Hilfe?
Droht die Verjährung Ihrer Schadenersatzansprüche wegen Mietschäden? Um Ihre Situation rechtssicher zu beurteilen, kontaktieren Sie uns für eine unverbindliche Ersteinschätzung Ihres Falles.
Experten Kommentar
Es klingt hart, aber die Praxis zeigt immer wieder: Vor Gericht zählt die Uhr mehr als die Wahrheit. Dieses Urteil ist eine konsequente Mahnung, dass die sechsmonatige Verjährungsfrist für Mietschäden gnadenlos durchgezogen wird. Wer als Vermieter Schadensersatz fordert, muss den genauen Tag der Wiederinbesitznahme belegen, sobald der Mieter die Verjährung ins Spiel bringt. Ein vager Vortrag wie „im Dezember“ ist hier tödlich und kann später nicht mehr durch nachgeschobene Rechnungen geheilt werden. Die Lektion ist klar: Präzision ist im Zivilprozess unersetzlich, besonders wenn Fristen laufen.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Wann verjähren meine Ansprüche als Vermieter wegen Mietschäden nach dem Auszug?
Entdecken Sie teure Schäden in der leerstehenden Wohnung, wie zerstörte Böden oder fehlende Einrichtung, herrscht extremer Zeitdruck. Ihre Schadensersatzansprüche wegen Veränderung oder Verschlechterung der Mietsache verjähren extrem schnell. Die Frist beträgt nicht die üblichen drei Jahre, die oft bei allgemeinen zivilrechtlichen Forderungen gelten. Sie haben nach der Wohnungsrückgabe nur sechs Monate Zeit, Ihre Ansprüche gerichtlich geltend zu machen.
Diese kurze Frist ist in § 548 BGB festgelegt und dient primär dem Schutz des Mieters. Das Gesetz möchte verhindern, dass ehemaligen Mietern nach langer Zeit noch Forderungen präsentiert werden, zu denen ihnen die Beweismittel fehlen. Die Sechsmonatsfrist gilt dabei ausschließlich für Ansprüche, die aus dem tatsächlichen Zustand der Mietsache resultieren, beispielsweise für Beschädigungen oder nicht durchgeführte Schönheitsreparaturen.
Entscheidend ist der exakte Startpunkt der Verjährung, denn dieser kann nicht verschoben werden. Die Frist beginnt strikt mit dem Tag, an dem Sie als Vermieter den unmittelbaren Besitz der Wohnung zurückerlangen – typischerweise der Tag der Schlüsselübergabe. Ihre Kenntnis von den entstandenen Schäden spielt dabei keine Rolle. Verzögerungen sind hochriskant: Überschreiten Sie die Frist um nur einen Tag, verlieren Sie selbst bei großen Schäden den gesamten Anspruch.
Da die Uhr erbarmungslos tickt, stellen Sie sofort einen digitalen Kalender-Timer, der 5 Monate und 28 Tage nach der tatsächlichen Wohnungsrückgabe Alarm schlägt.
Ab welchem genauen Datum beginnt die sechsmonatige Verjährungsfrist für Mietschäden (§ 548 BGB)?
Die sechsmonatige Verjährungsfrist nach § 548 BGB beginnt nicht mit dem formalen Ende des Mietverhältnisses, sondern mit der tatsächlichen Rückerlangung des unmittelbaren Besitzes der Mietsache. Juristisch zählt der Tag, an dem Sie als Vermieter die uneingeschränkte Kontrolle über die Wohnung wiedererlangen. Dies ist typischerweise der Tag der offiziellen Schlüsselübergabe oder der Feststellung, dass die Räumlichkeiten vollständig leerstehen und die Sachherrschaft wieder bei Ihnen liegt.
Der exakte Startpunkt dieser kurzen Verjährungsfrist ist juristisch hochkritisch. Die Frist beginnt am Tag der tatsächlichen Besitzrückgabe (Tag Null), die Berechnung selbst startet jedoch erst am darauffolgenden Tag (Tag Eins). Die strenge Sechsmonatsfrist soll gewährleisten, dass über Forderungen wegen Mietschäden schnell Klarheit geschaffen wird. Sie weicht damit bewusst von der allgemeinen dreijährigen Verjährungsregel ab und erhöht den Handlungsdruck auf den Vermieter massiv.
Vermeiden Sie vor Gericht unbedingt vage Beschreibungen des Zeitpunkts wie „im Dezember“ oder „Ende November“. Ein Fall vor dem Landgericht Berlin zeigte, dass jeder Tag entscheidend ist: Damit die Klage rechtzeitig war, durfte die Frist frühestens am 8. Dezember begonnen haben. Eine unpräzise Datumsangabe im Prozess führt dazu, dass das Gericht im Zweifel den frühesten unbestrittenen Zeitpunkt als Fristbeginn annimmt.
Suchen Sie das Dokument, das den frühesten unstreitigen Termin Ihrer Handlung in der Wohnung belegt, um den Beginn der Frist lückenlos zu beweisen.
Wie widerlege ich vor Gericht erfolgreich den Einwand der Verjährung meiner Mietschaden-Klage?
Der Einwand der Verjährung ist eine formale Hürde, die Ihre Klage schnell scheitern lässt. Um diesen Einwand erfolgreich zu entkräften, müssen Sie vor Gericht Ihre sogenannte sekundäre Darlegungspflicht erfüllen. Dies erfordert den unmissverständlichen und konkreten Vortrag des exakten Datums der Wohnungsrückgabe. Ein taggenauer Beweis der Fristeinhaltung ist dabei zwingend notwendig.
Wenn Mieter die kurze Verjährung der sechsmonatigen Frist (§ 548 BGB) geltend machen, verschiebt sich die Beweislast. Obwohl der Mieter theoretisch die Verjährung beweisen müsste, zwingt Sie die Darlegungspflicht, den Sachverhalt der Rechtzeitigkeit aktiv vorzutragen. Der Zivilprozess verlangt hierfür mehr als nur eine ungefähre Schilderung des Zeitpunkts, da die Berechnung der Frist äußerst strikt gehandhabt wird. Bereits wenige Tage vor dem kritischen Stichtag können den gesamten Anspruch verjähren lassen.
Gerichte lehnen vage Angaben wie „im Dezember“ oder „Ende November“ als unzureichend ab. Ein Berliner Vermieter verlor seinen Anspruch auf über 26.000 Euro, weil sein Anwalt dem Gericht kein konkretes Datum für die Wohnungsrückgabe lieferte, obwohl er die Gelegenheit dazu erhielt. Sie müssen eindeutig belegen, dass die Sechsmonatsfrist erst so spät begann, dass Ihre Klage noch fristgerecht war. Dieses Datum muss schlüssig und unwiderlegbar sein.
Bereiten Sie einen Schriftsatz für Ihren Anwalt vor, der klar formuliert, dass die tatsächliche Rückgabe des unmittelbaren Besitzes am [TAG. MONAT. JAHR] erfolgte.
Welche Dokumente und Belege brauche ich als Vermieter, um die 6-Monats-Frist lückenlos zu beweisen?
Die Beweisführung der kurzen Verjährungsfrist steht und fällt mit dem genauen Tag der Wohnungsrückgabe. Ein reines Übergabeprotokoll reicht nicht aus, falls der Mieter das Datum nachträglich bestreitet. Sie benötigen objektive Geschäftsbelege, die Ihre erstmalige, ungestörte Kontrolle über die Mietsache dokumentieren. Solche Belege beweisen den Beginn Ihrer Besitzkontrolle unwiderlegbar.
Ziel ist es, den juristisch entscheidenden ‚Tag Null‘ des Besitzübergangs festzuhalten. Besonders wertvoll sind Rechnungen für notarielle oder gewerbliche Handlungen, da sie ein festes Datum und einen externen Dritten als Zeugen aufweisen. Beauftragen Sie etwa unmittelbar nach der vermuteten Rückgabe einen Schlüsseldienst zum Schlosswechsel. Die datierte Rechnung beweist lückenlos, dass Sie ab diesem Tag die uneingeschränkte Sachherrschaft über die Wohnung innehatten.
Es ist entscheidend, diese Beweise von Anfang an in das erstinstanzliche Verfahren einzubringen. Ein Vermieter aus Berlin legte zwar eine Schlüsseldienstrechnung vom 9. Dezember 2020 vor, tat dies jedoch erst in der Berufung. Weil diese entscheidende Information in der ersten Instanz fehlte, wurde sie vom Landgericht als verspäteter, unzulässiger Vortrag gewertet. Das Gericht konnte den Beleg nicht berücksichtigen, was letztlich zur Abweisung der Klage führte.
Erstellen Sie bei jeder Rückgabe eine Checkliste und erzeugen Sie bei strittiger Übergabe aktiv ein offizielles, datiertes Dokument, das Ihre Besitzeinräumung belegt.
Kann ich in der Berufung neue Beweise vorlegen, wenn mein genauer Vortrag in erster Instanz fehlte?
Nein, die Korrektur gravierender Verfahrensfehler in der Berufung ist äußerst schwierig und oft ausgeschlossen. Entscheidende neue Beweise oder präzise Sachverhaltsdarstellungen, die bereits in der ersten Instanz hätten vorliegen müssen, gelten als unzulässiger, Verspäteter Vortrag. Dies liegt an der massiven Beweiskraft des Tatbestands des erstinstanzlichen Urteils (§ 314 ZPO). Die Angst, dass verlorene Zeit nun nicht mehr aufgeholt werden kann, ist oft berechtigt.
Der Zivilprozess folgt dem Grundsatz der Mündlichkeit: Für die Gerichtsentscheidung existiert nur, was in der Verhandlung vorgetragen und protokolliert wurde. Der Tatbestand des ersten Urteils fasst diese Verhandlung für die Berufungsinstanz verbindlich zusammen. Neue Tatsachen oder Beweismittel, die diesem festgeschriebenen Sachverhalt widersprechen, sind in der Berufung nur schwerlich zulässig. Die höhere Instanz dient primär der Überprüfung der Rechtsanwendung, nicht der Nachholung der gesamten Beweisaufnahme.
Nehmen wir an, Sie haben in erster Instanz nur vage von „im Dezember“ gesprochen, wollen aber später den präzisen Tag „8. Dezember“ beweisen. Da der Tatbestand nur die unpräzise Aussage enthält, gilt Ihr neuer Vortrag samt Beweis als neu. Das Landgericht Berlin machte klar: Was nicht protokolliert ist, hat im Gerichtssaal nicht stattgefunden. Ein solcher nachträglich eingebrachter Nachweis gilt als zu spät und kann den Anspruch nicht mehr retten.
Lesen Sie das Protokoll der mündlichen Verhandlung und den Tatbestand des Urteils sofort nach Erhalt durch und beantragen Sie bei Lücken oder Unpräzisionen umgehend eine Berichtigung.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Einwand der Verjährung
Juristen nennen den Einwand der Verjährung die formale Verteidigungshandlung, mit der ein Schuldner die Geltendmachung eines Anspruchs durch den Gläubiger ablehnt, weil die gesetzliche Frist zur Klageerhebung abgelaufen ist.
Dieses prozessuale Recht dient dazu, Rechtssicherheit zu schaffen, denn das Gesetz möchte verhindern, dass alte Forderungen unbegrenzt lange verfolgt werden können, wenn die Beweislage schwierig wird.
Beispiel: Nachdem der Vermieter die Klage einreichte, erhoben die Mieter sofort den Einwand der Verjährung, da sie argumentierten, die sechsmonatige Frist zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs sei bereits abgelaufen.
Grundsatz der Mündlichkeit
Der Grundsatz der Mündlichkeit besagt, dass ein Zivilgericht seine Entscheidung ausschließlich auf jene Sachverhalte stützen darf, die von den Parteien in der öffentlichen, entscheidenden Verhandlung tatsächlich vorgetragen wurden.
Dieses zentrale Prozessprinzip stellt sicher, dass alle Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme haben; nur das Gesagte zählt, weshalb der Inhalt von Schriftsätzen erst durch mündlichen Vortrag in den Prozess gelangt.
Beispiel: Trotz der nachträglichen Vorlage der schriftlichen Schlüsseldienstrechnung in der Berufung wurde dieser Beweis nicht berücksichtigt, da er dem Grundsatz der Mündlichkeit nach nicht Teil der ersten mündlichen Verhandlung war.
Sekundäre Darlegungspflicht
Die sekundäre Darlegungspflicht ist eine juristische Pflicht, die eine Partei dazu zwingt, einen Sachverhalt konkret und schlüssig zu erklären, wenn die Gegenpartei einen pauschalen, aber rechtserheblichen Einwand (wie Verjährung) geltend macht.
Dieses Werkzeug greift, wenn die primäre Beweislast eigentlich bei der Gegenpartei liegt, aber nur die erste Partei die entscheidenden Fakten kennt, um eine Frist oder Regel präzise zu beweisen oder zu widerlegen.
Beispiel: Als die Mieter die Verjährung geltend machten, musste der Vermieter seine sekundäre Darlegungspflicht erfüllen, indem er dem Gericht das taggenaue Datum der tatsächlichen Wohnungsrückgabe vortrug.
Tatbestand des Urteils
Der Tatbestand des Urteils ist der verbindliche Abschnitt eines erstinstanzlichen Urteils, welcher den gesamten, maßgeblichen Sach- und Streitstand der mündlichen Verhandlung so zusammenfasst, wie das Gericht ihn zur Entscheidung herangezogen hat.
Dieses Dokument hat eine besonders hohe Beweiskraft (§ 314 ZPO) und legt damit für die Berufungsinstanz unwiderlegbar fest, welche Fakten im ersten Verfahren als vorgetragen galten.
Beispiel: Im Tatbestand des Amtsgerichtsurteils stand nur die vage Aussage „im Dezember“, weshalb der spätere, präzisere Vortrag des 8. Dezember in der Berufung als widersprüchlich und unzulässig gewertet wurde.
Unmittelbarer Besitz
Mit dem unmittelbaren Besitz ist die tatsächliche Sachherrschaft über eine Sache gemeint, also die physische Möglichkeit, über eine Wohnung zu verfügen und Dritten den Zutritt zu verwehren.
Der Gesetzgeber knüpft an den unmittelbaren Besitz wichtige Fristen, wie die sechsmonatige Verjährungsfrist nach § 548 BGB, weil ab diesem Zeitpunkt der Eigentümer die ungestörte Möglichkeit hat, Schäden zu prüfen und Ansprüche zu sichern.
Beispiel: Die sechsmonatige Verjährungsfrist für Mietschäden beginnt strikt mit der Rückerlangung des unmittelbaren Besitzes durch den Vermieter, also dem Tag der tatsächlichen Schlüsselübergabe oder der Feststellung des Leerstandes.
Verspäteter Vortrag
Als verspäteter Vortrag wird im Zivilprozess ein Sachvortrag oder ein Beweismittel bezeichnet, das erst in der Berufungsinstanz oder zu einem späten Zeitpunkt des erstinstanzlichen Verfahrens eingereicht wird, obwohl es schon früher hätte vorgebracht werden können.
Die Zivilprozessordnung will damit verhindern, dass Verfahren durch das Nachschieben von Beweisen oder Tatsachen unnötig in die Länge gezogen werden, und fördert die Konzentration der Verhandlung in der ersten Instanz.
Beispiel: Da der Vermieter die entscheidende Schlüsseldienstrechnung erst in der Berufung vorlegte, wertete das Landgericht Berlin diese wichtige Information als verspäteten Vortrag, der nicht mehr zur Klärung der Verjährung berücksichtigt werden durfte.
Das vorliegende Urteil
LG Berlin II – Az.: 64 S 51/22 – Beschluss vom 11.09.2024
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